Was bedeutet Autismus für Familien? Teil 2


Im 1. Teil habe ich ja geschrieben, dass nun die Umbauarbeiten am Haus begannen (einem Haus das wir uns eigentlich wirklich nicht leisten konnten, aber uns leisten mussten) und dass wir die zweite Verdachtsdiagnose erhalten hatten.

Den Innenbereich des Hauses haben wir innerhalb von nicht ganz drei Wochen renoviert und umgebaut, tags- und auch nachtsüber so gut es ging, damit das Leben für unsere Kinder schnellstmöglich besser werden konnte.. Wenn wir nicht mit dem Umbau beschäftigt waren, haben wir uns in die Thematik Autismus gekniet. Ich habe Unmengen an Literatur bestellt, im Internet recherchiert und nichts konnte mir meine Angst nehmen, nein sie wurde dadurch eher größer. Die Einrichtung des Hauses haben wir auf unsere Kinder abgestimmt, so dass alles möglichst reizarm gehalten wurde und wir wunderbar Struktur und Ordnung halten konnten. Das sollte allerdings noch dauern. Denn es dauerte weitere vier Monate bis alle Möbel da waren. Nur die Kinderzimmer waren schon bei Einzug fertig. 

Wir wurden dem Kindergarten Walbersdorf zugeteilt und langsam rückte der Tag des Kennenlernens im Kindergarten näher. Je näher dieser Tag kam umso nervöser wurde ich. Was wenn alles umsonst gewesen war? Was wenn unsere Jungs auch hier wieder nicht richtig angenommen würden? Was sollten wir dann machen? Was würde dies auch mit Jozefina machen, würde sie sich noch weiter zurückziehen, ihre Ängste – ihre Brüder nicht beschützen zu können – noch weiter wachsen? Ich hatte einfach nur Angst. Ich überlegte auch hin und her ob ich wirklich gleich zu Beginn wieder von den Schwierigkeiten von und mit Miro und Martin berichten sollte oder ob dann von vornherein eine Abneigung bestehen würde, wie es leider nur allzu oft der Fall ist.

Schließlich war er da, der Tag des Kennenlernens. Wir gingen am Freitagnachmittag in den Kindergarten, da auch weniger Kinder anwesend waren und sich die Pädagoginnen so auch ein besseres Bild machen konnten. Ich hatte entschlossen, ganz offen mit der Thematik umzugehen, vor allem auch um so die Sicherheit meiner Kinder nicht zu gefährden. Unsere Zwillinge fühlten sich sofort wohl im Kindergarten, Jozefina beobachtete ganz genau, wie die Kindergärtnerinnen auf ihre Brüder reagierten. Wir erzählten der Kindergartenleiterin und der gruppenführenden Pädagogin alles, was uns relevant schien. Die Antwort der Leiterin war nur: „Es gibt nichts, was wir nicht schon gesehen haben und nichts, was wir nicht gemeinsam schaffen.“ Ich war erleichtert. Die Eingewöhnung begann am 1. Februar, mit zweieinhalb Stunden – länger als sie davor jemals im Kindergarten gewesen waren. Und binnen eines Monats durften die Kinder von 8.00 Uhr bis zum Mittagessen bleiben und ich holte sie dann danach um 12.30 Uhr ab. 

In der Zwischenzeit revidierte die Kindergartenleiterin ihre Aussage bezüglich des Punktes, dass sie bereits alles gesehen hätten, denn so etwas wie unseren Miro und unseren Martin hatten sie doch noch nicht erlebt. Die Aussage, wir schaffen es aber zusammen, blieb weiterhin aufrecht. 

Im März erklärt mir unsere sehr liebevolle SOKI, die einmal pro Woche mit unseren Kindern arbeitet, dass wir zur Austestung doch mal bei der AFEPA beim PSD anrufen und uns einen Termin ausmachen sollten. Gleichzeitig wurde eine weitere Integrationspädagogin für den Kindergarten angefordert. Den Termin für die Austestung bekamen wir Ende August. Wir hatten somit großes Glück, „nur“ ein halbes Jahr bis zur Diagnostik warten zu müssen. Wenn man nämlich das Internet dazu befragt, kommt man eher auf ein bis eineinhalb Jahre Wartezeit. Und was für einen Horror, diese Zeitspanne in Bezug auf die kindliche Entwicklung bedeutet, ist glaube ich allen Eltern bewusst. 

Ich versuchte mich nicht mehr, der Angst vor der Diagnose hinzugeben, sondern konzentrierte mich ausschließlich auf meine Kinder und ihre Bedürfnisse. So merkte ich auch, dass sie nachts meist viel aufnahmefähiger waren als tagsüber. Also begann ich Fördermaterial, dass auf ihre Ansprüche angepasst war zu basteln. Ich überlegt mir passende Spiele, druckte Bildkärtchen für unseren Tagesablauf und verlegt die Förderarbeit in die Nacht, die sie ohnehin zum Tag machten. Ich schaffte es aber ehrlich gesagt auch nicht jede Nacht. Manchmal lief der Fernseher und ich sicherte nur ihr Überleben und war froh, wenn ich dann eine ganze Stunde Schlaf bekam. Aber mit der Zeit merkte ich, wie toll sie anfingen sich zu entwickeln und auch dass der Blickkontakt anstieg, langsam kamen sogar Reaktionen, wenn ich sie beim Namen rief. Und so wurde die Arbeit in der Nacht immer leichter, für mich. Tagsüber durfte ich sie keine Sekunde aus den Augen lassen, zu groß war die Gefahr, dass sie sich mit den Gurten der Vorbaurollos strangulierten oder sonst wie verletzten. Ich musste sie sogar zum Toilettengang mitnehmen, natürlich an der Hand, da das Badezimmer definitiv ein riesiges Gefahrenpotenzial ausstrahlt. 

Alle Fenster waren abschließbar, jeder Durchgang mit extra Treppenschutzgittern und Schiebetüren gesichert. Als dann im April endlich unsere Küche ankam, mussten wir Messer, Schnitzelhammer, etc und Besteck komplett verräumen. Das Besteck landete oben bei den Gläsern, für Messer und scharfe, bzw gefährliche Küchenutensilien wurde ein Safe angeschafft. In unseren Besteckladen befinden sich nur Tücher und Schwämme, denn davon brauchen wir definitiv mehr, als ein „normaler“ Haushalt. Das ist zwar für uns Eltern etwas umständlicher, trotzdem erleichtern diese Kleinigkeiten unser Leben enorm.

Am 2. Mai 2021 war es dann soweit, dass die neue Integrationspädagogin anfangen sollte. Dadurch konnten Miro und Martin dann gruppenmäßig getrennt werden (da sie sich gegenseitig sehr irritierten und dann beide nicht mehr aufnahmefähig waren). Die neue Integrationspädagogin Bianca war nun für Martin zuständig. Wieder diese furchtbare Angst. Würde sie mein Kind so akzeptieren wie er war und ihn fördern oder würde sie ihm das Leben schwer machen? Gerade Martin war doch eher schwieriger zu händeln. Aber binnen kürzester Zeit erwies sich diese Angst als unbegründet. Martin und Bianca wuchsen zu einem super Team zusammen. Jeden Tag, wenn ich um 12.30 Uhr im Kiga ankam, nahm sie sich noch eine halbe Stunde Zeit um sich mit mir auszutauschen und wir überlegten täglich zusammen, wie man die Kinder bestmöglich unterstützen könnte. Auch Jozefina baute Vertrauen zu Bianca auf, da sie sah, wie gut es Martin mit ihr ging, und konnte so langsam und in klitzekleinen Schritten ihre Beschützerrolle minimieren. Anfangs war da noch die große Panik, wenn Miro oder Martin etwas umschmissen, dann rannte sie hin stellte sich zwischen die Pädagogen und ihre Brüder, fing an alles aufzuheben und erklärte ganz panisch, dass das keine Absicht gewesen war. Mit der Zeit, als sie bemerkte, dass ihre Brüder gut angenommen wurden, kontrollierte sie nur mehr mit Blicken, ob die Jungs auch gut behandelt wurden. In mir stellte sich Erleichterung ein. 

Ich fing an Bücher über Autismus von betroffenen Eltern zu bestellen, denn diese waren zum Großteil doch etwas optimistischer gehalten, als die restliche Literatur. Ich suchte im Internet nach Austausch-Gruppen, was aber wiederum meine Ängste schürte. Denn in diesen kommen die negativen Aspekte und die Verzweiflung doch wieder stärker hervor als die wenigen positiv geschriebenen Beiträge. 

Und wieder kam ich an den Punkt, an dem ich zweifelte, ob es denn wirklich Autismus sein könnte. Denn die positive Entwicklung unserer zwei Rabauken, war nicht von der Hand zu weisen. Klar man konnte nicht eine Sekunde in Ruhe sitzen, aber passiert war dennoch viel. Und doch gab es immer wieder Rückschläge in der Entwicklung, wo wir gefühlt wieder bei null starteten.

Und so blieb uns nichts weiter über, als unseren Weg so wie angefangen voranzuschreiten - Strukturen einzuhalten und langsam Schritt für Schritt neue Sachen zu erlernen – und die Diagnostik abzuwarten...

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