Was bedeutet Autismus für die Familie? Teil 1


Ich kann nur aus meiner Sichtweise schreiben, denn nur diese, kenne ich wirklich. Ich werde den Text auf mehrere Teile aufteilen und versuche mich dabei  wirklich kurz zu halten. 


Doch von Anfang an. Schon im 1. Lebensjahr unserer tollen Jungs kamen uns einige Dinge merkwürdig vor. Sie suchten keinen Blickkontakt, sie imitieren nicht. - Jeder Elternteil kennt es sicher, man zeigt seinem kleinen Zwerg die Zunge und irgendwann macht das Baby dies nach. – Es war merkwürdig, aber Miro und Martin machten das nie. Sie interessierten sich auch nicht für uns, ihre Eltern, ihre Bezugspersonen. Ihr Interesse galt von Klein Auf Dingen die sich drehten; gab man ihnen ein Spielzeugauto würden sie nur dessen Reifen drehen., oder aber Dinge gegeneinander schlagen, damit diese ungeheuren Lärm produzierten. Das waren damals Themen über die ich mir den Kopf zerbrach.

Sie schliefen sehr schlecht, ab dem vierten Monat circa musste ich sie jede Nacht mit dem Kinderwagen durch die Wohnung schieben, im Bett zu schlafen – keine Chance. Also kamen kleine extra angefertigte Matratzen in den Zwillingswagen, damit sie so zumindest bequem liegen konnten. In einer guten Nacht, stand der Kinderwagen maximal eine Stunden still – und dies natürlich immer aufgeteilt auf 10 bis maximal 20 Minuten Intervalle, in denen auch Mama zur Ruhe kam. Denn gleichzeitig schlafen war ohnehin nicht in ihrem Plan vorgesehen. Der Schlaf selbst bereitete uns zu dem Zeitpunkt weniger Kopfzerbrechen, als oben genannte Punkte. Denn auch unsere, ein Jahr ältere Tochter, Jozefina hatte enorme Schwierigkeiten mit dem Schlafen.

Immer wieder deponierte ich meine Sorgen und Ängste beim Kinderarzt, welcher mir immer nur erklärte, es wären doch Zwillinge und ich solle doch bitte nicht so überbesorgt sein. Als Miro und Martin auch mit einem Jahr noch nicht auf ihre Namen oder sonst ein gesprochenes Wort reagierten, selbst keine Anstalten machten zu sprechen, noch immer kein Essen außer ihre Milchflaschen akzeptierten und sich an oben genannten Punkten nichts geändert hatte, nervte ich den Kinderarzt wieder mit meinen Bedenken. Und wieder bekam ich die gleiche Antwort. Um mich „zu beruhigen“ machte er einen „Hörtest“ mit einer Rassel hinter ihren Köpfen. Auf Geräusche reagierten sie ja, sie bräuchten also nur Zeit.

Die Situation zu Hause wurde immer belastender, denn unsere Zwillinge hatten überhaupt kein Gefahrenbewusstsein und scheinbar auch kein Schmerzempfinden. Dazu sei gesagt, dass zu diesem Zeitpunkt beide Jungs sehr autoaggressiv waren. Sie schlugen mit ihren Köpfen, gegen Wände, Glas, Böden, mit voller Absicht und immer und immer wieder. Sie rissen sich selbst an den Haaren. 

Die einzige Interaktion zwischen ihnen, waren Prügeleien – und diese sehr extrem. Ich durfte mich keine Sekunde entfernen. Sie waren außerdem sehr festgefahren was Rituale betraf und jeder Tag musste den gleichen Ablauf haben, jeder Spaziergang die gleiche Route. Sie wurden auch zu groß, um im Kinderwagen zu schlafen, also doch wieder Betten. Innerhalb von eineinhalb Jahren hatten sie 12 Betten auseinandergebaut, oder aber einfach zerstört. Es war zermürbend.

Das Einzige worauf Miro und Martin positiv reagierten, waren gesungene Lieder, Melodien und Rythmen. Wir lernten über Musik zu kommunizieren. Jeder Rhythmus hatte seine Bedeutung, ich dichtete Lieder, damit ich mir merken konnte, welches Lied wir für welche Aufforderung singen konnten. Die Musik war gefühlt das einzige Thema das uns in der Kommunikation verband. Sie wollten nicht spielen, sie wollten nicht kuscheln. 

Ich erinnere mich es gab eine furchtbare Zeit, wenn Martin geweint und geschrien hat, und ich durfte ihn nicht einmal in den Arm nehmen und trösten, er wollte von mir, dass ich exakt einen Meter neben ihm sitze, ihn nicht anspreche und ihn im besten Fall nicht mal ansehe. Mir als Mama hat das immer unfassbar weh getan. Aber ich habe neben ihm ausgeharrt, leise eine Melodie gesungen und gewartet bis ich ihn zumindest für ein paar Sekunden wieder in den Arm nehmen durfte. 

Miro und Martin haben alles in den Mund gesteckt und daran geknabbert oder einfach nicht essbare Dinge verschluckt. Immer wieder haben sie versucht wegzulaufen. Besuche außerhalb haben sie gar nicht ertragen. Und sehr wenige Menschen hatten Verständnis für unsere „wilden, unerzogenen“ Zwillinge.

Arbeiten war neben ihnen nicht möglich. Ich habe es dann schließlich mit Nachtarbeit versucht und war eine Woche in der Lebensmittelproduktion tätig. Leider funktionierte dieses Zusammenspiel nicht, denn mein Mann konnte sie nachts nicht 4einhalb Stunden betreuen und dann am nächsten wieder auf die Baustelle arbeiten fahren. 

Schließlich kamen sie mit 2 Jahren und 8 Monaten in den Kindergarten. Doch eine Routine stellte sich dort nicht ein. Mit 3 Jahren startete dann die erste Entwicklungsdiagnostik, wobei die Psychologin unsere Zwillinge jeweils vielleicht 5 Minuten gesehen hatte. Schließlich bekamen wir den Befund mit Verdacht auf frühkindlichen Autismus und der Empfehlung für Psychopharmaka. Ich war wütend, was sollte diese Empfehlung, vor allem nach gerade Mal 5 Minuten? Und Autismus – hahaha so ein Quatsch – klar sie waren entwicklungsverzögert und manchmal doch auch etwas merkwürdig, aber Autismus, nein. Auch unsere Nachbarn, eine aus dem Sozialbereich, eine aus dem Gesundheitsbereich und eine ehemalige Kiga-Pädagogin, teilten unsere Meiung. Sie schlichteten doch nichts – nein - sie liebten die Unordnung und das Chaos. Sie waren doch keine Genies. Also entschlossen wir uns eine Zweitmeinung einzuholen. Heute ist es vollkommen klar und ich frage mich, habe ich es nicht gesehen oder wollte ich es nicht wahrhaben?

An der Kindergartensituation hatte sich im letzten halben Jahr nichts geändert, es wurde gefühlt eher schlimmer. Unsere Zwillinge durften zum Schluss gerade Mal zwei Stunden im Kindergarten verweilen, wobei die Pädagogen dort sehr überfordert waren mit der Situation. Was sollten sie mit den Kindern eigentlich wirklich tun und anfangen? Nachdem wir sahen, dass die Situation nicht besser werden würde und es unserer Tochter plötzlich auch von Tag zu Tag schlechter ging, sie immer ruhiger und in sich gekehrter wurde; und unser Miro, plötzlich von einem Tag auf den anderen, panische Angst hatte - vor geschlossenen und vor allem dunklen Räumen hatte, sodass wir unsere Zimmertüren durch Treppenschutzgitter austauschen mussten – da beschlossen wir umzuziehen. 

In all diesen ersten drei Jahren brauchten sie so viel mehr Aufmerksamkeit, als ich es jemals bei anderen Kindern gesehen hatte. So oft mussten wir intuitiv handeln um mit ihnen zu kommunizieren, sei es über Musik, Lärmproduktion, Dinge die sich drehten. Wir lernten zu improvisieren und ich lernte meinem Bauchgefühl komplett zu vertrauen. Sie brauchten und forderten so viel Liebe ein und doch wurde jedes „ich liebe dich“ welches von uns ausgesprochen wurde, von ihnen ignoriert. Aber sie forderten Kitzel-Spiele und Spiele ein, die dafür sorgten, dass Mama und Papa ihnen nachlaufen mussten. Dann füllte das schönste Lachen unsere Wohnung.

Wir suchten nach Häusern, denn so ein gutes Verhältnis wir mit den Nachbarn in der Wohnung auch hatten, so sehr wussten wir auch, dass unsere schlaflosen Nächte, auch bei ihnen für Schlafmangel sorgten und uns war klar, irgendwann wäre das Verständnis dahin. Wir nahmen das erstbeste Haus, 60 Jahre alt und viel Arbeit vor uns. Zeitgleich mit Beginn der Umbauarbeiten am neuen Haus, bekamen wir die Ergebnisse der zweiten Entwicklungsdiagnostik. Wieder bei beiden die Verdachtsdiagnose „Frühkindlicher Autismus“. 

Ab da begann ich mich mit der Thematik, ernsthaft, auseinanderzusetzen und vieles was man las, war deprimierender und noch angsteinflößender als erwartet...

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