Je größer Miro und Martin wurden und je mehr sie sich in Teilbereichen entwickelten, umso größer wurden auch ihre Auffälligkeiten. Irgendwann in dieser Zeit wurde mir definitiv bewusst, dass es eigentlich nur auf genau diese Diagnose hinauslaufen könnte. Mein Leben war geprägt, von schlaflosen Nächten, die wir zumeist mit unserem ganz eigenen Therapieprogramm verbrachten, von Tagen an denen ich versuchte die Kinder vor sich selbst zu retten, vom permanenten Nachlaufen. Nicht eine Sekunde der Unaufmerksamkeit durfte vorbeigehen und neben alldem blieb noch die Angst vor der Zukunft, würde die positive Entwicklung weiterlaufen oder irgendwann stagnieren – oder würde sie gar rückläufig werden? Würden wir irgendwann eine passende Schule für sie finden und könnten sie jemals selbstständig leben und eine eigene Familie gründen? oder würde es ihnen verwehrt bleiben? Was würde aus meiner Prinzessin Jozefina? Immer wieder plagte mich ihr gegenüber, das schlechte Gewissen. Obwohl sie bei sämtlichen Aktivitäten dabei war und auch ja geschaut wurde, dass für sie Extrazeit geschaffen wird, fragte ich mich immer, ob sie wohl wüsste, dass sie etwas ganz Besonderes war. Klar sie bekam es immer wieder zu hören, aber dieses kleine sensible Wesen, wirkte außerhalb von zu Hause, wie zerrissen. Sie selbst ließ es nicht zu, Kind zu sein, wenn jemand anderer als ich die Jungs beaufsichtigte. Sie übernahm meine Rolle, wenn ich gerade nicht zur Stelle war. Etwas was ich für meine Kinder nie wollte, Meine Kinder sollten doch glücklich und unbeschwert und ohne jeglichen Druck aufwachsen. Könnte sie jemals selbst Kind sein?
Alle diese Fragen machten mir oft neben dem durchgetakteten Alltag das Leben schwer. Oft überkam es mich und ich konnte meine Tränen nicht mehr aufhalten, zu mindestens nicht vor meinen Zwillingen. Die beiden reagierten jedoch nicht darauf. Es war als wäre ich Luft, was noch einmal mehr weh tat.
Irgendwann beschloss ich für mich, diesen Gefühlen fixe Termine zu geben, und ja ich habe mir in den Kalender eingetragen, wann ich weinen und diese Angst zulassen durfte. Die restliche Zeit wollte ich nur im Hier und Jetzt und für meine Kinder da sein und keine Gedanken an die Zukunft binden. So merkwürdig sich das sicher für viele anhört, für mich war dieser Weg, der einzig richtige. Für mich hat es so funktioniert. Ich konzentrierte mich noch mehr auf die Gegenwart und fing an jeden Moment ganz bewusst aufzunehmen. In den „Ärgernissen“ mit Miro und Martin fing ich an die positiven Dinge herauszufiltern. Wenn sie die ganzen Töpfe, Pfannen, Plastikgeschirr und Kochlöffel ausräumten und damit stapelten oder musizierten, sah ich nicht mehr die Arbeit, sondern nur das Fantasiespiel und ihre Kreativität. Wenn sie es wieder schafften im Team irgendwo hochzuklettern und Kindersicherungen zu lösen oder zusammen aufs Fensterbrett zu klettern (davor bauten wir dann eine Erhöhung aus Lärchenholz, für den Anfang, damit sie nicht mehr hochkonnten), sah ich ihr strategischen Denken und die Teamarbeit, zu der sie doch im Stande waren.
Schließlich konnte ich mich mit unserem Leben wirklich anfreunden und was soll ich sagen, ich liebte es. Es war ein anderes Leben, als die Leute führten die ich kannte, aber es war glücklich und perfekt. Von Miro und Martin lernte ich die kleinen Dinge im Leben zu sehen und mich davon mitreißen zu lassen. Durch sie wurde ich ein Meister der Geduld und der inneren Ruhe und durch sie durfte mein Herz und mein Horizont jeden Tag ein Stück weiterwachsen.
Ich wurde sehr oft gefragt: „Wie machst du das, vor allem mit dem Schlafen? Also ich könnte das nicht.“ Ich glaube man schafft alles, wenn man es schaffen muss, vor allem wenn es um die Liebe geht. Man wächst in seine Rolle hinein und wenn man es zulässt, wächst man nicht nur hinein sondern mit. „Naja aber mit zwei solchen Kindern?“ Ich bin unendlich dankbar, dass Miro und Martin so sind wie sie sind. Und gerade, dass ich wohl zwei frühkindliche Autisten daheim habe, erleichtert mir die Sorgen vor der Zukunft. Denn auch wenn ich sie nicht immer verstehen kann, werden sie doch immer einen den anderen haben, der sie versteht. Das war der Punkt an dem ich mich festhalten konnte. Und sie lernten voneinander. Denn auch wenn es selten den Anschein machte, dass sie sich gegenseitig überhaupt wahrnehmen, lernten sie doch so viel voneinander. Man merkte sehr wohl, welche Kompetenz eigentlich zu welchem der Beiden gehörte, aber doch waren sie sich vom Können extrem ähnlich.
Es gab Dinge die unabänderlich waren, jeder Weg brauchte eine bestimmte Musik. Am Weg in den Kindergarten musste zum Beispiel immer „Böhmischer Traum“ laufen (muss es bis heute – danke an dieser Stelle an meinen Mann, der mir das aufgezwungen hat), ohne dieses Lied, war der Tag im Kindergarten gelaufen. Mit diesem Lied, gab es nur etwa 15 bis 20 Minuten Geschrei und manchmal auch Schläge für Mama. Denn das Aus- und Umziehen im Kindergarten war für sie zu viel. Hier half nur ganz viel Ruhe und Geduld und vor allem das Auf- und Abzählen und immer wieder dabei ihre Körper fest zu drücken um sie wieder zu erden. Auch wenn dabei immer etwas verwunderte Blicke folgten, weichten wir nicht einen Moment von unserer Routine ab. Es war zwar anstrengend, aber je ruhiger und liebevoller ich blieb, desto besser funktionierte auch der Tag im Kiga.
Unser Leben war von Glück und Liebe geprägt – wir als Familie waren angekommen. Ich will damit nichts beschönigen, denn die Erschöpfung, Müdigkeit und Angespanntheit in manchen Situationen, blieb natürlich. Dennoch an erster Stelle, stand unser Zusammenhalt und Familienglück.
Und je weiter wir als Familie zusammenwuchsen und je entspannter und verständnisvoller wir Miro und Martin begegneten, umso weiter schritt auch ihre Entwicklung fort.
Schließlich startete die Diagnostik mit langwierigem Elterninterview, Fragebögen für uns und auch den Kindergarten und ging dann weiter mit Verhaltensbeobachtung und ADOS Test bei den Jungs. Mittlerweile wartete ich schon richtig darauf, dass wir die Diagnose schwarz auf weiß hätten. Als es dann zum Abschlussgespräch kam, und uns die Diagnose bestätigt wurde, saß ich doch wieder weinend da. Ein Mama-Herz ist etwas sehr merkwürdiges. Aber jetzt war es endgültig und obwohl da auch große Erleichterung war, war trotzdem für einen kurzen Moment wieder Angst und Trauer da.
Im Zuge dieses Abschlussgesprächs wurde uns auch geraten die „erhöhte Familienbeihilfe“ zu beantragen, etwas wovon leider viele betroffene Familien gar nicht wissen, dass sie ihren eigentlich zusteht. Und dann kam ein Satz, der mich zutiefst irritierte: „Bitte schauen Sie, dass sie einen sehr guten Rechtsschutz haben, den werden Sie auf Ihrem Weg leider brauchen.“ Heute, vor allem durch den Austausch mit anderen Familien weiß ich, wie richtig dieser Satz war, so traurig es auch ist.
Leider muss man sich alles erkämpfen, man watet durch einen Bürokratie-Dschungel, in dem es leicht ist sich zu verlaufen und viele Eltern geben diese Kampf auch auf, weil sie ihre Kraft für ihre Kinder brauchen und nicht teilen können…
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